Heute habe ich vor dem Supermarkt einen Bettler gesehen. Normalerweise gehe ich einfach vorbei, aber heute konnte ich das nicht. Ich konnte mein Herz nicht verschließen vor seinem Schmerz, weil ich fühlte, das ist auch mein Schmerz.
In einem einzigen Augenblick nahm ich all seine Gefühle wahr und war einfach überwältigt. Und ich spürte ganz tief in mir, dass ich mein Herz nicht mehr vor dem Schmerz der Welt verschließen will, auch wenn es noch so sehr wehtut, weil dieser Schmerz auch ein Teil von mir ist.
Ich kann mich nicht abtrennen von der Welt um mich herum, genauso wenig wie die Welt sich von mir abtrennen kann.
Früher habe ich mich immer vor dem Schmerz verschlossen, weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte.
Das hat sich geändert. Heute kann ich den Schmerz einfach wahrnehmen, fühlen und fließen lassen. Ich kann spüren, dass der Schmerz des Bettlers mein eigener Schmerz ist und dass wir auf der tiefsten Ebene des Seins nicht getrennt sind. Ich kann dem Bettler Geld und Liebe schenken, nicht weil ich besser wäre als er oder über ihm stünde, sondern weil es mir ein Bedürfnis ist, jemandem zu helfen, dem es schlecht geht, nicht aus einem unbalancierten Helfersyndrom heraus, sondern einfach weil das meine Natur ist, weil ich das bin und weil ich weiß, wenn ich heile, heilt auch die Welt und nur wenn die Welt ganz heilt, kann auch ich ganz heilen.
An all die Bettler in meinem Inneren
die immer noch glauben
dass ihnen nichts gehört
dass sie um jede Kleinigkeit betteln müssen
und total von dem Wohlwollen der anderen abhängig sind
an all die Bettler in meinem Inneren
die immer noch glauben
dass sie ihr Leben nicht selbst lenken können oder dürfen
dass sie nichts wert sind
dass sie der letzte Dreck und Abschaum sind
und froh sein können
wenn ihnen jemand anders in seiner
Großzügigkeit etwas gibt
für all die Bettler in meinem Inneren
öffne ich heute mein Herz so weit
ihr seid alle willkommen
genauso wie ihr seid
mit all dem Schmerz
all der Verletzung
all der Verwirrung
all der Traurigkeit
all der Scham
all dem verlorenen Vertrauen
all der Enttäuschung
all der Hoffnungslosigkeit
all der Wut
all dem Selbsthaß
ich werde meine Augen nicht mehr vor euch
und eurem Schmerz verschließen
